Thursday, 25. December 2025
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Niederbayern >> Wednesday, 24. December 25

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Wintersonne über dem Inn mit der zukünftigen Großbaustelle: alte Innstadtbrauerei. (Foto: Stefan Schopf)
Nachdenkpause

Das Jahr vergeht, die Kurve steigt

316. 430.

Das sind keine Haushaltszahlen und keine Börsenwerte. Es sind ppm – Teile pro Million. Sie markieren, wie viel CO₂ sich in der Luft befindet, die wir atmen. Und sie erzählen, wie schnell wir dabei sind, unsere Lebensgrundlagen zu verändern.

Wissenschaftler messen den CO₂-Gehalt der Luft seit Jahrzehnten an festen Stationen, etwa auf dem Vulkan Mauna Loa auf Hawaii. Die sogenannte Keeling-Kurve kennt seit Jahren nur eine Richtung: nach oben. Der Anstieg beschleunigt sich. In den sechziger Jahren nahm der Treibhausgasgehalt der Atmosphäre um rund 0,8 ppm pro Jahr zu, in den neunziger Jahren bereits um etwa 1,5 ppm. Heute liegt der jährliche Zuwachs bei über 2,5 ppm, im Jahr 2024 wurde der Rekordwert von 3,7 ppm erreicht. Die naturwissenschaftliche Lage ist eindeutig. 1960 lag die atmosphärische CO₂-Konzentration bei rund 316 ppm (Teile pro Million). Heute liegt sie bei bis zu 430 ppm – ein Plus von gut 35 Prozent.

Die steiler werdende Kurve ist ein klares Signal: Der menschliche Einfluss auf das Klima nimmt nicht langsam zu, sondern immer schneller. Seit Trump das Zepter führt, hat die NASA ihre regelmässigen Pressemitteilungen über CO₂-Anstieg, Arktisschmelze und Rekordjahren eingestellt. Die Regierung setzte den NASA-Redakteuren strenge Freigabeprozesse und kürzte Mittel für die Klimaforschung – doch Wegschauen ändert nichts an der dramatischen Faktenlage.

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Residenzplatz Anfang Dezember vor zehn Jahren. (Foto: Tobias Clemens Köhler)
Ursache und Wirkung lassen sich kaum noch trennen. Das Bayerisches Landesamt für Umwelt meldet für Bayern das fünfzehnte zu warme Jahr in Folge und deutlich zu wenig Niederschlag. Und doch handeln wir oft, als ließe sich das eine ohne das andere lösen. Auch Verdrängung spielt eine Rolle: "Lasst uns lieber über Wirtschaftswachstum sprechen."  

Ein besonders anschauliches Beispiel liefert der Verkehr. Der Verbrennungsmotor ist nicht nur klimaschädlich, sondern technisch ein Auslaufmodell: Er setzt einen Großteil der eingesetzten Energie in Wärme und Reibung um. Ein Elektroauto kommt mit deutlich weniger Energie voran. Trotzdem ist in der Politik – unter dem Einfluss starker Lobbys – vom „hocheffizienten Verbrennungsmotor“ die Rede. Wer grundlegende physikalische Zusammenhänge kennt, kann darüber nur den Kopf schütteln. Der vermeintliche Rettungsanker für jene Teile der Autoindustrie, die den Wandel verschlafen haben, ist damit ausgeworfen – doch die Kette wird reißen.

Es ist beunruhigend: Klimaziele werden aufgeweicht – in Berlin wie in Brüssel. Der Rechtsruck in der westlichen Welt verschärft diese Entwicklung.

Umso bemerkenswerter ist ein bislang leiser Gegenpol: In Brüssel arbeiten derzeit hundert zufällig ausgewählte junge Menschen unter 30 Jahren an Empfehlungen für eine europäische Klimakommission. Elf von ihnen kommen aus Bayern, darunter ein junger Mann aus Niederbayern. Ihre Aufgabe: zuhören, abwägen, Vorschläge erarbeiten – als Gegengewicht zu organisierten Interessen, etwa aus der Chemieindustrie, die bestehende Regeln lockern oder kippen will.

Zum Jahresende bleibt ein nachdenklicher Eindruck. Gespräche – auch im privaten Umfeld, in meiner Wohngemeinschaft – zeigen, wie sehr sich Gewissheiten verschieben und wie schnell sich das Rad rückwärts drehen kann. Desinformation, Angst und politische Instrumentalisierung wirken, auch bei jungen Menschen. Der Blick aufs Ganze droht verloren zu gehen: auf physikalische Realitäten, auf demokratische Grundwerte, auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

In diesem Sinn: besinnliche Weihnachten – und ein Jahr 2026 mit Mut zu Veränderungen und mehr Frieden. Nicht nur an den Außengrenzen Europas – während ich diese Zeilen schreibe, brummt wieder eine 54 Jahre alte ukrainische Antonow über den Himmel, Teil einer militärischen Luftbrücke zwischen Osteuropa und Großbritannien –, sondern auch im Inneren.

Hubert Jakob Denk